#

HELTER SKELTER

von Neil Labute

Deutsch von Jennifer Whigham und Lothar Kittstein
Premiere 7. Februar 2007, Theater Bonn
Mit Birte Schrein, Yorck Dippe
Bühne Gesine Kuhn
Kostüme Uta Heiseke
Musik Jiggs Whigham
Dramaturgie Stephanie Gräve/Lothar Kittstein

Fotos: Thilo Beu

PRESSESTIMMEN:

Jetzt bloß kein griechisches Drama!
„Helter Skelter” von Neil LaBute – uraufgeführt nicht am Broadway, sondern in Bonn … Das Stück ist, wie oft bei LaBute, eine punkt- und kommagenau dem Mittelklassevolksmund abgeschaute Alltagssituation. Ein Paar macht Verschnaufpause vom Shopping: „Setz dich mit jemand, den du liebst, in ein schickes kleines Restaurant und beklag’ dich über Gott und die Welt.” Doch bald sind wir inmitten handfester Beziehungsprobleme, als sie ihm eröffnet, ihn vorhin beim Date mit ihrer Schwester beobachtet zu haben, worauf er gesteht, dass das schon sechs Jahre so geht. Natürlich sei das nur „körperlich”, halt „einfach passiert” und auch „nur ein kleiner Teil von mir”, weshalb er glaube, sie beide „können das schaffen”. Yorck Dippe ist dabei ein so rauschender Vorabendserienphrasenwasserfall, sprudelnd statt triefend, dass man ihm die gönnerische „Ich will nicht, dass du das auf dich nimmst”-Besorgnis und die platitüdengetränkte „Wir können zivilisiert damit umgehen”-Vernunft ernsthaft abnimmt. Nur hat er die (Ab-)Rechnung ohne seine Gattin und ohne LaBute gemacht.

Der verpasst der, bis dahin recht konventionellen, Krisenkonversation nun nicht nur einen allgemeinmoralischen Anstrich, sondern auch eine richtig theatrale, kathartische Wendung – entgegen der scheinbar beiläufigen Bitte des Mannes, „dass das hier keine Riesensache wird, okay? Irgend so’n griechisches Drama . . .” Jetzt ist sie an der Reihe, Birte Schrein, die sich in großer Garderobe schluchzend und mit gezügelter Sinnlichkeit auf dem Stuhl drapiert. Statt aufzustehen und zum Anwalt zu gehen, will sie es selbst beenden: „Spektakulär. Angemessen.” Einmal zu „den anderen” aus den TV-News gehören, denen immer die Katastrophen passieren, selbst Medea sein oder wenigstens ein Charles-Manson-Mädchen, die in den 60ern für den Sektenchef Prominente ermordeten, im Namen seiner „Helter Skelter”-Rassenideologie, benannt nach einem Beatles-Song. Genauso unverhofft, „holterdipolter”, greift sie nun zum Steakmesser – und sticht sich langsam in den hochschwangeren Bauch.

Diese Turbodrehung hin zur zynischen Allegorie auf pathetisch-pathologische Aufmerksamkeitssinnsuche ist LaButes Überraschungscoup: unmerklich vorbereitet, kaum psychologisch begründet. Genau das wagt aber die junge Regisseurin Jennifer Whigham. Sie verweigert das Dialogpingpong, drosselt das Tempo. Birte Schrein reagiert nicht schlag-, eher schlangenartig: mal Boa Constrictor mit tödlicher Gewissheit, mal Blindschleiche, total neben der Spur. So wird aus ihrem Affekt Plan und Spleen, aus LaButes Effekt Plausibilität.
Süddeutsche Zeitung, 9. Februar 2007, Vasco Boenisch

 

 

Der Tod und das Pärchen
Uff, dieser Weihnachtsrummel. Schwer bepackt kommt die hochschwangere Frau zum Treffpunkt im Restaurant, während ihr Mann schon mal am Whisky nippt. Erschöpft lässt sie sich nieder. „Ich liebe es“, sagt sie und lächelt ihr sybillinisches Lächeln, das sie an diesem denkwürdigen Abend noch öfter lächeln wird. Sie hat ihr Handy nicht dabei; der Mann kann seines nicht finden. Die Frau hilft suchen. Ach, da ist es ja! Muss sich im Futter der Jacke verfangen haben. Jetzt fällt es hin und ist kaputt. Die Frau kann nicht mehr nachsehen, mit wem ihr Mann zuletzt telefoniert hat. „Mach doch keine griechische Tragödie draus“, meint der Mann.

Der Zuschauer ist also gewarnt. Nach und nach, just wie in einer solchen Tragödie, kommt die Wahrheit ans Licht. Die Person, mit der der Mann zuletzt telefoniert hat („Das ist jetzt peinlich für dich“, meint er), ist die Schwester der Frau. Seit sechs Jahren hat er ein Verhältnis mit ihr. Die Frau hat die beiden während ihres Einkaufsbummels gesehen. Der Mann versucht, sich wortreich zu erklären. Der Ehebrecher, das sei nur ein Teil von ihm. Der andere Teil sei nach wie vor der liebende, fürsorgliche Familienvater. Je mehr er redet, desto peinlicher wird es, und zwar für ihn. Die Frau weint nicht, obwohl ihr spürbar danach zumute ist; sie lächelt ihr sybillinisches Lächeln. Dann sagt sie, dass sie nie mehr mit ihrem Mann allein sein wolle. Dieser Abend der Enthüllung nach sechs Jahren des Betrugs solle angemessen, und das heiße: spektakulär enden. Sie nimmt das Steakmesser vom Tisch und stößt es in ihren schwangeren Leib.

Das eingangs skizzierte „Helter Skelter“ hat der Autor der Schauspielerin Birte Schrein gewidmet, und wenn man den Bonner Abend sieht, weiß man, warum. Mit stupender Verwandlungsfähigkeit spielt Schrein sämtliche Frauenrollen und passt sich dabei wechselnden Partnern (zuletzt ist es Yorck Dippe) und Regisseuren (plus Inszenierungsstilen) fast mimikryhaft an. … In „Helter Skelter“ schließlich, unter der Regie von Jennifer Whigham, changiert sie furios zwischen einer offenen Verletztheit und einer wachen, souveränen Ironie, mit der sie die Spielchen des Mannes decouvriert und der Lächerlichkeit preisgibt, ohne ihm letztlich den Todesstoß zu versetzen, den sie dann doch lieber – ach, die Frauen – sich selbst und ihrer Leibesfrucht zufügt.
Frankfurter Allgemeine, 9. Februar 2007, Andreas Rossmann

 

 

Bauchüberkopf
Paargeschichten mit Kinderfolgen und eine Uraufführung von Neil LaBute am Schauspiel Bonn

… „Helter Skelter“ verknüpft die Spiel- und Reflexionsebene geschickter und bleibt doch simpel gestrickt: Zur Abwechslung legt LaBute der Frau hier seine Poetik in den Mund, nach der „Leute wie du und ich und all die anderen“ plötzlich sich in einer Situation wiederfinden können, die sie groß und interessant, aus der lieben Mammi eine rasende Medea und aus einer Trivialität eine Tragödie werden lässt.

Und so kommt es dann auch: Die Frau stellt ihren Mann im Restaurant, in dem sie sich nach den Weihnachtseinkäufen treffen, lässt ihn am Handy, das er ihr nicht leihen will, zappeln, spricht ihn darauf an, dass er sie mit ihrer Schwester betrügt, und wird unvermittelt zur Rächerin, die sich das Steakmesser in den schwangeren Bauch rammt. Birte Schrein spielt das in Jennifer Whighams Regie so reich schattiert zwischen Enttäuschung und Entschiedenheit, Ratlosigkeit und Ranküne, verletzter Würde und kühler Verachtung, als wollte sie sich (hat sie, was ihre Privatsache bleiben sollte, erst mal hinter sich) für bessere, größere Rollen empfehlen. Auch von Autoren, denen sie nicht (mehr) schreiben kann.
Theater Heute, April 2007, Martin Krumbholz

 

 

Biblische Alltagsdramen, Neil LaButes Uraufführung „Helter Skelter“ in Bonn

… In „Helter Skelter“ – ein Beatles-Lied, das als Urinspiration von Heavy Metal und auch des Mörders Charles Manson gilt – kommt die Ehefrau mit Einkaufstüten und einem Hochzeitskleid in das Restaurant, in dem gleich ihr Leben zusammenbrechen wird. Sie weiß es schon, und wie sie kühl sezierend, unheimlich flackernd und mit nur mühsam zusammengehaltener Fassung ihren jämmerliche Ehemann vorführt, der sein Handy vor ihr verbergen will und sie sechs Jahre lang mit ihrer Schwester betrogen hat, ist eine schauspielerische Glanzleistung. Jede seiner ausweichenden Phrasen katapultiert die beiden weiter auf unterschiedliche Menschheitshöhen: Die verletzte Rachegöttin und das Würstchen, das der Schauspieler Yorck Dippe dabei zum Glück keineswegs verrät. Eine alltägliche, jämmerliche Demütigung, die nach apokalyptischer Vergeltung verlangt – bis zum Schluss zittern wir ihr entgegen (Regie: Jennifer Whigham).

… In einer schlichten, filzbezogenen Halfpipe haben drei Jungregisseure drei völlig unterschiedliche Einakter inszeniert. Ein prickelnder und brillant gespielter Abend, ein Glücksfall für Bonn.
Die Deutsche Bühne, April 2007, Dorothea Marcus

 

 

„Die Geschichte muß um jeden Preis erzählt werden, ob wir als Zuschauer sie nun mögen oder nicht.“

… „Helter Skelter“, benannt nach dem Beatles-Song, wurde in Bonn als Uraufführung herausgebracht. … Ein Ehepaar trifft sich nach dem vorweihnachtlichen Shopping-Trip in einem Restaurant. Lounge-Musik im Hintergrund, ein gedeckter Tisch. „Setz dich mit jemand, den du liebst, in ein schickes kleines Restaurant und beklag‘ dich über Gott und die Welt. So macht man das.“ So heißt das Rezept. Beide sind gestresst, sie ist hochschwanger, er beruflich sehr eingespannt. Doch dann bittet sie ihn um sein Handy, er gibt vor, es nicht zu finden – die Katastrophe nimmt ihren Lauf. … Grandios Yorck Dippe als kleinlauter, phrasendreschender Kotzbrocken. Birte Schrein ist faszinierend zu beobachten. Fast wie in einem naturwissenschaftliche Experiment lässt sie ihren Mann in die Falle laufen, beobachtet ihn und reagiert dann ganz unerwartet: „Ich glaube, wir sind außergewöhnlich… in der Lage, so unglaubliche Dinge zu tun.“ Jennifer Whigham gelingt es, einen Spannungsbogen aufzubauen: vom behaglichen Smalltalk über eine Beziehungsdebatte bis zur abrupten Verlangsamung des Tempos mit dem schockierenden Ende. … Insgesamt ein Abend, der gut zwei Stunden fesselte, amüsierte, und, last but not least, nachdenklich stimmte.
Theater Pur, April 2007, Antje van Bürck

 

 

Ein Stück für andere Umstände

Der US-Dramatiker Neil LaBute schrieb der schwangeren Bonner Schauspielerin Birte Schrein eine Rolle auf den Leib. … Und es wurde eine herausragende Arbeit. Die drei Regisseure – als Assistenten mag man sie nun nicht mehr bezeichnen – inszenierten mit Ruhe und Präzision, gutem Gespür für Timing und Rhythmus, konzentriert auf vier ausgezeichnete Schauspieler. … Die Frau will nicht sein wie alle anderen, sondern außergewöhnlich sein. Medea heißt eins ihrer Vorbilder. Sie beweist, dass auch Zivilisationsmenschen zur großen Tragödie fähig sind. Das Stück endet blutig.
Die Welt, 11. Februar 2007, Stefan Keim

 

 

 

Alltag als Katastrophe
Nichts für zarte Gemüter: Das Bonner Theater reiht drei nagelneue Einakter des US-amerikanischen Autors Neil LaBute aneinander, als gelte es, die Selbstmordrate bei den Zuschauern zu steigern … Birte Schrein hält ihren Kopf erst demütig gesenkt. Doch in ihrem weißen Kleid mit ebensolchen Handschuhen steigert sie sich langsam aber zielsicher in Richtung Wahnsinn. Hier eine Träne, da ein hysterisches Lachen – je mehr herauskommt, desto erhobener ihr Haupt. Wie ein patziges Mädchen lässt sie alle Ausflüchte abprallen, bis sie sich ein Messer gemächlich, fast eine Spur zu gemütlich, in den gewölbten Bauch sticht. Der hilflose Ehemann rutscht langsam aus seiner ekelhaften Selbstsicherheit in einen ängstlichen Buben, verharrt in Schockhaltung.

Die Bühne von Gesine Kuhn ist für alle drei Stücke mit (alltags-)grauem Filz ausgeschlagen, auf dem die den schrecklichen Teil der Wirklichkeit extrahierenden Szenen abgedämpft werden. Wie zwei hereinbrechende Tsunami-Wellen biegen sich die Seitenwände – einer Skateboard-Teststrecke gleich –, die bedrohlichen Aspekte der Handlung vorwegnehmend, in die Richtung der Schauspieler.
Die Tageszeitung, 9. Februar 2007, Heiko Ostendorf

#